26. Februar 2021 

Der Brandanschlag auf 2 Obdachlose in Britz - kein rechter Hintergrund?

Am Freitag, dem 26.2.2021, zündeten drei junge Männer nacheinander zwei Zelte von Obdachlosen in der Parkanlage an der Britzer Gutschmidtstraße an. Einer der beiden Obdachlosen wurde durch Schläge schwer verletzt.
Die Polizei hat Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung aufgenommen. Einen rechtsextremen Hintergrund wird von ihr nicht gesehen.
Die Anwohner*inneninitiative Hufeisern gegen Rechts schließt sich dieser Einschätzung nicht an.
In Deutschland besteht eine lange Tradition der Diskriminierung von Obdachlosen. Schon im 19. Jahrhudert galten „Landstreicherei”, „Müßiggang” oder „arbeitsscheu” als strafrechtliche Vergehen und wurden im Wiederholungsfall mit Anstaltsunterbringung geahndet.

Foto eines der Tatorte

Während der Nazi-Zeit wurde diese Diskriminierung verschärft. Unter der Kennzeichnung „Berufsbetteltum”, „Berufsausbeutung”, „Wohlfahrtbetrügerei” und „Arbeitsunwilligkeit” wurden gesetzliche Regelungen erlassen, mit denen Obdachlose in Arbeitshäuser und Gefängnisse gerichtlich eingewiesen bzw. inhaftiert wurden.
Ziel der politischen Führung und der NS-Experten war nicht nur die Disziplinierung, Repression und Ausgrenzung von Randgruppen, sondern die „restlose Beseitigung” von „Asozialen” und „Gemeinschaftsfremden” aus der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität, dauerhafte Fürsorgebedürftigkeit und „Nichtsesshaftigkeit” waren in dieser Sicht nicht Folge gesellschaftlicher Konflikte und sozialer Vernachlässigung, sondern Ausdruck charakterlicher Andersartigkeit und negativer Erbanlagen. Wer sich angesichts der staatlichen Drohungen und Sanktionen nicht anpasste, galt als „unverbesserlich„ und sollte endgültig aus der „Volksgemeinschaft” „ausgesondert” werden. 1937 erhielt die Kriminalpolizei die Zuständigkeit, im Rahmen „vorbeugender Verbrechensbekämpfung” sogenannte „Asoziale” ohne richterlichen Beschluss auf unbestimmte Zeit in KZs einzuweisen.
Auch wenn diese juristischen Bestimmungen mit der Befreiung vom Faschismus beseitigt wurden, ist das diskriminierende und abwertende Menschenbild immer noch existent und weit verbreitet. Der Angriff auf Obdachlose ist und bleibt somit Ausdruck einer rechtsextremen Auffassung, nach der Menschen, deren Leben den gängigen Vorstellungen eines „geregelten Lebens” von Wohnung, Arbeit und Unterhalt widerspricht, zu gesellschaftlichen „Parasiten” erklärt werden und zu bekämpfen sind.
Wenn die Polizei in den o.g. Fällen nicht von rechtsextremen Tätern spricht, mag sie Recht haben, dass die Angreifer nicht der organisierten rechten Szene angehören.
Unabhängig davon bleibt jedoch der geistige Hintergrund dieser schamlosen, menschenrechtsverletzenden Taten in Britz dem rechtsextremen Weltbild verhaftet. Menschen, die dem fiktiven Bild einer wie auch immer definierten „richtigen Lebensweise” (die Nazis sprachen von „Volksgemeinschaft”) nicht entsprechen, werden als minderwertige Existenz klassifiziert, die bestraft und ihrer Existenz beraubt werden müssen. Da die staatlichen Organe dieses nicht in ausreichendem Maß vornehmen, tritt an ihre Stelle zum Schutz vor der öffentlichen Existenz der „Anpassungsunwilligen” das Recht auf Selbstjustiz. Es ist keine Zufälligkeit, dass wir diese Selbstermächtigung häufig bei Menschen finden, die sich selbst als gesellschaftlich Benachteiligte fühlen, wobei es hier keine Rolle spielt, ob es sich um Menschen mit oder ohne Migrationsbiographie handelt. Rechte Anschauungen machen keinen Halt vor Ländergrenzen. Sie lassen sich jedoch auch nicht - wie es die Polizei in diesem Fall tut - auf den organisierten Rechtsextremismus reduzieren. Sie sind tief verwurzelt in der Mitte unserer Gesellschaft. Die verbreitete, kaum hinterfragte Verachtung gegenüber Obdachlosen, die sich in gängigen Bezeichnungen wie „Penner”, „Landstreicher” oder „Berber” zeigt, ist ein deutliches Indiz.
Als Initiative, die sich für ein demokratisches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Lebensentwürfe einsetzt und gegen das Vordringen rechter Denk- und Verhaltensmuster wendet, rufen wir zur Solidarität mit den betroffenen Obdachlosen auf.

Zeigen wir Zivilcourgage, wenn Obdach- oder Mittellose verbal oder körperlich angegriffen werden. Auch hier gilt: Menschenwürde ist unteilbar!

nach oben