Der angekündigte Starkregen blieb aus, dafür kamen mehr als 100 Menschen, um an unseren ehemaligen Nachbarn, dem Dichter und Anarchisten Erich Mühsam, auch in diesem Jahr in der Hufeisensiedlung zu erinnern.
Angesichts der zunehmenden rechten Angriffe auf Jüdinnen und Juden hatte die Initiative Hufeisern gegen Rechts die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus als Thema ihres Wortbeitrags in den Mittelpunkt gestellt.
Erich Mühsam hatte zwar seiner jüdischen Herkunft keine besondere Bedeutung beigemessen, war aber aufgrund der antisemitischen Hasstiraden der Nazis immer wieder gezwungen, nicht nur vor der existentielle Gefahr der faschistischen Bewegung für die sozialistische Arbeiterbewegung zu warnen, sondern sich auch der rassistischen Angriffe gegen ihn und generell gegen das Judentum „als ein Symptom reaktionärer Hochkonjunktur” zu erwehren.
Parallelen zu der heutigen Zeit, vor allem zu den rassistischen Anschlägen, zog der Redner der Anwohner*inneninitiative, indem er auf den rechten Terror in Neukölln hinwies, mit dem seit mehr als zehn Jahren bis in die jüngste Zeit Menschen mit Morddrohungen überzogen, Autos angezündet, Scheiben eingeschlagen sowie das Gedenken an Tote beschmutzt werden.
Um endlich aufzuklären, wie sich seit Jahren eine gewaltorientierte rechte Szene entwickeln konnte, wies er noch einmal auf die Forderung Neuköllner Organisationen und Initiativen sowie von Gewalt Betroffenen hin, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen und den Ungereimtheiten bei der Ermittlungsarbeit der Behörden einzurichten.
Auch Lienhard Böhning, Vorsitzender der Erich-Mühsam-Gesellschaft, ging in seinem Beitrag auf die Aktualität von Erich Mühsams Haltung zu rassistischen und antisemitischen Diskriminierungen ein.
Am Beispiel der am 10. Juli dieses Jahres verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano, die aus ihrer eigenen Erfahrung Rassismus und Rechtsradikalismus als größte Bedrohung menschlichen Zusammenlebens bezeichnet habe, zeigte er, wie notwendig das unermüdliche Engagement gegen jeglichen Rechtsradikalismus und für eine Verständigung von Juden, Christen und Muslime für die Verteidigung demokratischer Grundrechte in unserem Land sei.
So sei es unerträglich, dass dem Rassismus und Antisemitismus der AfD in den Talkshows und Interviews in den öffentlichen Medien eine ständige Plattform geboten werde. Dies sei einer Demokratie unwürdig und müsse vor allem angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes ein Ende finden.
Das Lebensmotto von Esther Bejenario müsse bei uns allen, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten, Leitlinie sein und bleiben:
„Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander!
Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg!”
Doch es wäre keine Veranstaltung im Sinne Mühsams, wenn nicht auch neben seiner politischen Entschlossenheit seine humorvollen, lebenswütigen und geselligen Seiten zur Sprache gekommen wären. Dafür sorgte der musikalische Beitrag von Ralf „Trotter” Schmidt, Mario „Bibi” Schulz und Ilja Plettner mit der Premiere ihres Erich-Mühsam-Programms „Da bin ich, öffne zögernd deine Tür”.
Freiheit, Rebellion und Antifaschismus paarten sich hier mit Themen wie Einsamkeit, verschmähter Liebe und sexuellen Abenteuern.
Dieser Vielfältigkeit trugen die Musiker auch dadurch Rechnung, dass sie die so unterschiedlichen Themen und lyrischen Formen mit einem breiten Spektrum an musikalischen Stilen präsentierten.
Vom Blues, rockigen Balladen über Folk mit Jazzelementen bis hin zur Anlehnung an deutsche Arbeiterhymnen bewegten sich „Trotter” Schmidt und seine Mitmusiker und verschafften den Kundgebungsteilnehmer*innen ein abwechslungsreiches, genussvolles Erlebnis, das sich auch in dem große Beifall und der Forderung nach Zugaben ausdrückte.
Ein besonderer Dank gilt der Fritz-Karsen-Schule, die uns die Musikanlage zur Verfügung gestellt hat.